METODO

International Studies in Phenomenology and Philosophy

Book | Chapter

220910

(1999) Entdecken und Verraten, Weimar, Böhlaus Nachfolger.

Ein Zustand ohne Kunst ist nicht zu imaginieren

Renate Reschke

pp. 77-92

Der späte Nietzsche — in seiner emphatischen Nihilismus-Kritik — bündelt 1888 alle Kräfte seines Gegenkonzeptes im und am Phänomen Kunst: er fixiert, gleichsam einen geistigen Schritt in die reflektierende Distanz tretend, das Dilemma der Moderne am Spannungsfeld ihrer merkwürdigen Sorglosigkeit gegen die Kunst, gegen die Künste und ihrer zugleich auffälligen und sie charakterisierenden Kunstverfallenheit. Das gleichermaßen (selbst-)zerstöre-rische Potential beider Seiten ist ihm Anlaß zu seiner konsequenten Kunstapotheose, deren kulturkritische und ästhetische Wurzeln in den Denkeinsätzen der siebziger Jahre liegen. Wenn es heißt: »Die Kunst und nichts als die Kunst! Sie ist die große Ermöglicherin des Lebens, die große Verführerin zum Leben, das große Stimulans des Lebens« (NF; KSA 13, S. 521)1, dann erhält dies u. a. seine herausragende Bedeutung durch die Verwobenheit mit einer Entdeckung Nietzsches, die ihm historisch und perspektivisch ungeheuerlich schien. Alle Besichtigung vergangener Kultur(en) hatte nichts ihresgleichen zutage gefördert. Daß ein »Zustand der Menschen, welcher die Kunst und Religion entbehren könnte, […] vielleicht keine Unmöglichkeit« (NF; KSA 8, S. 206) mehr sein würde (in nicht zu ferner Zukunft), daß dies der Zustand der Zukunft sein könnte, allein, daß dies denk-möglich schien, erschreckt den Kulturkritiker und Philosophen tief und hat ihn nicht wieder aus seiner Reichweite und Konsequenz entlassen und zu immer neuen Versuchen getrieben, dagegen anzudenken und Alternativen zu formulieren.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03269-0_6

Full citation:

Reschke, R. (1999)., Ein Zustand ohne Kunst ist nicht zu imaginieren, in A. Schirmer (Hrsg.), Entdecken und Verraten, Weimar, Böhlaus Nachfolger, pp. 77-92.

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