METODO

International Studies in Phenomenology and Philosophy

Book | Chapter

Nähe und Ferne

Reinhard Emmerich

pp. 460-477

Was wird im traditionellen China als Literatur bezeichnet? Das nächste Äquivalent zu diesem Wort, wen, hat ein sehr breites Bedeutungsfeld. Im allgemeinsten Sinn steht es für ›kultiviert‹, ›gebildet‹, ›Bildung‹, ›der Gebildete‹; in einem engeren Sinn bedeutet es Prosaliteratur im Gegensatz zu Dichtung; und im Gegensatzpaar wen — chih trägt es die Bedeutung ›gekünstelt‹, ›geschmückt‹. Doch selbst dort, wo das Wort wen ohne weiteres mit ›Literatur‹ zu übersetzen ist, bezeichnet es ein weites Feld und geht wenigstens teilweise über den uns vertrauten Literaturbegriff hinaus. Eine Ahnung davon vermittelt bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis einer der großen Anthologien, die das traditionelle China, meist auf kaiserliche Veranlassung hin, so reich kompiliert hat. Zu den bedeutendsten Florilegien gehört das im späten 10. Jahrhundert zusammengestellte Wen-yüan ying-hua (»Blüten aus dem Garten der Literatur«). Nicht umsonst faßte dieses Sammelwerk tausend Kapitel — diese Zahl der Allheit war seinem ehrgeizigen Ziel angemessen, die Literatur eines bestimmten Zeitraumes vollständig zu erfassen; und wenn es die in ihm versammelte Literatur in 38 Gruppen gliederte, so geschah auch das nicht willkürlich, sondern in Nachahmung einer 500 Jahre älteren Anthologie. Die ersten Gruppen des Wen-yüan ying-hua, die zusammen etwas über ein Drittel seines Umfanges abdecken, sind sog. Prosagedichte und Gedichte, gefolgt von Liedern und prosaischen ›vermischten Texten‹.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03631-5_29

Full citation:

Emmerich, R. (1996)., Nähe und Ferne, in L. Danneberg & F. Vollhardt (Hrsg.), Wie international ist die Literaturwissenschaft?, Stuttgart, Metzler, pp. 460-477.

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