METODO

International Studies in Phenomenology and Philosophy

Book | Chapter

222655

(1990) Der Mensch inmitten der Geschichte, Stuttgart, Metzler.

Das Verhängnis des Fortschritts

Karl Löwith

pp. 320-338

Der Begriff des Fortschritts geht oft unvermerkt über in den der Entwicklung. Wir sprechen von »unterentwickelten« Ländern und meinen damit solche, die sich erst noch entwickeln müssen, indem sie sich die Fortschritte der westlichen Zivilisation aneignen. Wir sprechen vom Fortschritt der Wissenschaft oder auch von ihrer Entwicklung. Hegel behauptet sogar, daß die Wahrheit selbst die Tendenz habe, »sich zu entwickeln«, d.h. sich in der Geschichte des Geistes zu entfalten. Weil aber diese Explikation zu immer reicheren und höheren Stufen führt, nennt Hegel das Prinzip der gesamten Geschichte des sich in der Welt entwickelnden Geistes einen »Fortschritt« im Bewußtsein der Freiheit. Beides, Entwicklung und Fortschritt, sind ihrer formalen Struktur nach ein Werden im Unterschied zu einem feststehenden Sein. Als ein Werden auf etwas hin sind Entwicklung und Fortschritt auf Zukunft gerichtet. In einer Zeit ohne Zukunft, in einer ewig kreisenden Gegenwart, sind Entwicklung und Fortschritt aufgehoben. Der Fortschritt ist also eine Bewegung des Werdens auf etwas Künftiges hin; aber nicht jedes Werden und nicht jede Entwicklung ist schon ein Fortschritt. Die Wassermassen eines Flußlaufes bewegen sich auf etwas hin, der Fluß macht aber keine Fortschritte. Alles organisch Lebendige bewegt sich entwickelnd auf etwas hin, es schreitet aber nicht fort.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03324-6_12

Full citation:

Löwith, K. (1990). Das Verhängnis des Fortschritts, in Der Mensch inmitten der Geschichte, Stuttgart, Metzler, pp. 320-338.

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